SPÖKENKIEKER
Das Geheimnis der Moorkirche

Ein Anruf kann ein ganzes Leben verändern.

So ergeht es den Wolf Brüdern, als sie einem Hilferuf ihres Vaters folgen. Sie kehren zurück in ihren Heimatort Bispingen und müssen feststellen, dass Plagegeister über die Gemeinde herziehen und eine Spur von Leichen zurücklassen. Als ihr Vater verschwindet und ihre Mutter sie töten will schlagen sie Wege ein, die sie lieber nie betreten hätten. 

Die Bücher sind erhältlich bei

Leseprobe aus Kapitel 1

SPÖKENKIEKER

Das Geheimnis der Moorkirche

 

Arno sah an seinem Kumpel vorbei aus dem Seitenfenster.
Konnte er seinen Augen trauen? Unzählige Male waren sie hier gewesen, aber so etwas hatte er nie vorher gesehen.
„Was zum Teufel ist das?“, fragte er mehr zu sich.
Auf dem Sandweg seitlich von ihnen tauchte ein Lichtkegel auf.
„Hey, siehst du das?“ Mit der Bierdose in der Hand zeigte Arno auf das Licht. Bennos Augen weiteten sich. Was war das? Er hatte doch erst ein Bier getrunken. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte Benno mehr zu erkennen. Dabei lehnte er sich übers Lenkrad, als würden diese Zentimeter entscheidend sein.
Erst hatte das Licht die Größe von einem Meter, doch es wurde größer und größer, je näher es kam.
Es kam auf sie zu. Ihre Neugier war stärker als der Gedanke, das einzig Richtige zu tun: zu fliehen. Aber sie konnten nichts anderes tun, als das entgegenkommende Licht anzustarren. Langsam formte sich aus dem Lichtkegel eine Gestalt. Ein grauer Schimmer umgab das Wesen wie eine Aura. Es war größer als sie und trug eine Ritterrüstung. Die Rüstung reichte in Querrillen über den Rücken, bis weit über den Oberschenkel. Das Metall wirkte verwittert und stumpf. Unter dem Brustpanzer hingen Stoffärmel in Fetzen herab. Die Arme bestanden lediglich aus Haut. Sie hing an den Knochen herunter, wie ein zu großes, nasses Kleidungsstück. Die Stoffhose hatte riesige Löcher, dessen Ränder so zerfranst waren, als hätten Tiere daran genagt. Einzelne weiße, fettige Haarsträhnen hingen bis auf die Schulter hinab. Im Ganzen wirkte die Gestalt wie ein Soldat aus vergangener Zeit. Auf dem blassen Schädel saß ein Helm. In den Augenhöhlen lagen glühend rote Pupillen. Mitten in der Stirn klaffte ein kleines Loch. Es fiel direkt auf, weil es einen schwarzen Rand aufwies. Als wäre die Haut ringsherum verbrannt. Ohne Frage war es ein Einschussloch.
Die knochige Hand stützte sich auf den Griff der Langwaffe, die er an seinem Gürtel trug. Die andere Hand streckte der Soldat den Männern entgegen. Dabei setzte er ein Bein vor das andere. Es wirkte, als könnte er die Füße nicht anheben und hinterließ dabei eine Schleifspur im Sand. Die Gestalt kam auf den Wagen zu geschlürft. Die blutleeren Lippen formten sich immer wieder zu den gleichen Worten. Doch konnten die beiden Männer sie im Wagen nicht hören. Das Rauschen der Autobahn war zu laut.
„Was... was... zur… Hölle ist das?“, begann Arno zu stottern.
„Das werden wir gleich wissen?“
Ohne den Blick abzuwenden, tastete Benno mit der Hand nach dem Türöffner.
Arno wollte seinen Freund am Aussteigen hindern und griff nach seinem Arm.
„Was hast du vor, Mann?“, wunderte er sich über den Mut seines Freundes und starrte ihn an.
„Wäre es nicht besser im Wagen zu bleiben?“
„Ich will wissen, was der Typ von uns will! Was soll schon passieren! Wahrscheinlich testet jemand sein Halloween-Kostüm.“ In seinen Augen glänzte Entschlossenheit. Arno kannte diesen Blick. Nichts hätte Benno von seinem Vorhaben abhalten können.
Mit diesen Worten riss sich Benno von seinem Freund los und stieg aus. Schon immer war er der Mutigere der beiden gewesen. Seitdem sie sich in der Grundschule kennengelernt hatten, waren sie unzertrennlich.
Arno überlegte kurz, ob er ihm folgen sollte. Dann siegte die Neugier.
Schnell tastete er im Dunkeln ebenfalls nach dem Türöffner.

Mit der Motorhaube im Rücken standen die beiden Freunde vor dem Wagen. Bis auf das Rauschen der Autobahn gab es kein einziges Geräusch. Kein Vogel, keine Grille war zu hören. Eigentlich hatten sie nicht geplant ihren Wagen zu verlassen, deshalb trugen sie nur T-Shirt und Bermudashorts. Der lauwarme Wind streifte ihre Haut und ließ bei Arno Gänsehaut aufsteigen. Wie hypnotisiert starrten sie auf die Gestalt. Schritt für Schritt kam sie auf sie zu. Kurz bevor der Sandweg am Parkplatz endete, blieb sie stehen. Als würde sie die Männer anlocken wollen, streckte sie den Arm in ihre Richtung.
Langsam beugte sich Arno zu Benno herüber: 
„Kannst du hören, was sie will?“
Benno bewegte leicht den Kopf nach links und rechts. 
„Noch nicht!“
Bis jetzt hatte er mit seinen Händen die Sicherheit des Wagens gespürt. Jetzt verließ er langsam seine Komfortzone. Die Neugier hatte über den Verstand gesiegt. Benno wollte wissen, wer sich hier ein Scherz mit ihnen erlaubte. Obwohl ihm keiner seiner Freunde einfiel, die so etwas zustande bringen würden.
Mit angemessener Vorsicht näherte sich Benno der Gestalt. Bald konnte er die Worte verstehen, die aus den farblosen Lippen drangen.
„Habt ihr meine Batzen?“, hauchte die Gestalt. Benno blieb stehen. Was wollte sie von ihm?
Arno wollte kein Angsthase sein. Langsam folgte er Benno. Seine Schuhsohlen knirschten im Sand. Mit dem linken Fuß stieß er gegen einen Stein. Seit wann lagen hier so große Steine? Touristen konnten darüber stolpern. Oder war es gar kein Stein? Arno ging in die Knie, um danach zu tasten. Der Sand war feucht und klebte an seinen Händen. Er tastete nach dem Stein, aber der fühlte sich glatt und metallisch an. Als er sich wieder aufrichtete, hielt er eine Metallkiste in der Hand. Sie war nicht größer als eine Zigarrenschachtel. Das Metall war durch die Feuchtigkeit dunkel angelaufen. Es schien, als hätte sie jahrelang hier im Sand gelegen. Oder war sie erst aufgetaucht? Als wollte sie gefunden werden.
Für einen Moment vergaß Arno die Gestalt und Benno. Fasziniert legten seine Finger den Riegel zur Seite und öffneten den Deckel. Der Inhalt schien eine eigene Lichtquelle zu haben. Wie hypnotisiert starrte Arno in die geöffnete Schachtel hinein. Auf einer Vielzahl alter Münzen lag ein Eisenstab. Er hatte eine Länge von etwa zwanzig Zentimeter. Auf einer Seite endete der Stab mit einer Eisenkugel, gespickt mit fünf Klingen. Keine der scharfen Klingen war kürzer als fünf Zentimeter. Am anderen Ende des Kolbens war der Griff mit Lederriemen umwickelt. So eine Waffe hatte Arno vorher noch nie gesehen und doch wusste er, wie sie zu gebrauchen war. Seine Hand umschloss den Ledergriff. In diesem Moment schien etwas Besitz von seinem Körper zu nehmen. Sein ganzes Wesen veränderte sich. Und seine Augen leuchteten rot auf.
Benno stand vor der Gestalt. Er konnte beobachten, wie ihr Blick an ihm vorbei ging. Klar hatte er mitbekommen, dass Arno hinter ihm war, aber warum lachte dieses Wesen jetzt so?
„Ihr habt meine Batzen!“ Benno wandte sich zu seinem Freund um. 
„Alter, weißt du, was der will?“
Arno zögerte keine Sekunde. Bevor Benno realisieren konnte, was passiert, schlug er zu. Die Klingen waren scharf. Sie durchdrangen Bennos Schädelknochen, als wären sie aus Papier. Arno hatte mit so viel Kraft zugeschlagen, dass die Waffe im Kopf stecken blieb. Blut quoll aus der Wunde und lief über Bennos Gesicht. Er sah Arno schockiert an. Mit einem Ruck zog Arno die Waffe heraus. Das Blut schoss, wie aus einer geplatzten Wasserleitung, heraus. Die warme, dunkelrote Flüssigkeit spritzte auf Arnos Gesicht und auf seine Kleidung. Es schien ihn nicht zu stören.
Warum? Diese Frage konnte Benno nur mit seinem Blick fragen. Sein Gehirn war im Bereich des Stirnlappens getroffen, welches für das Sprechen zuständig war. Es war so massiv geschädigt, dass kein Wort mehr über seine Lippen kam. Bennos Herz versuchte den Blutverlust auszugleichen und pumpte das übrige Blut schneller durch den Körper. Noch hielt er sich auf den Beinen. Er schien nicht begriffen zu haben, dass er tödlich verletzt war. Vielleicht wollte Benno nicht wahrhaben, dass sein bester Freund ihm das angetan hatte. Mit jedem Herzschlag wurde das Blut aus der offenen Wunde gepumpt, wie bei einem Springbrunnen, dem irgendwann das Wasser ausging. Ohne jede Regung sah Arno seinem besten Kumpel beim Sterben zu. Bennos Körper begann zu schwanken. Mit einer unkontrollierten Bewegung schlug Benno Arno die Kiste aus der Hand. Geschlossen fiel sie in den Sand. Beim Aufprall klapperten die Münzen.
Als wäre Arno aus einem Koma erwacht, starrte er verständnislos auf den toten Körper seines Freundes herab. Die Blutlache, die sich um Benno gebildet hatte, war zum Teil im sandigen Boden versickert. 
„Was hab ich getan?“, stammelte er ungläubig vor sich hin. Er war nicht in der Lage die Szenerie zu verstehen.
„Ihr habt meine Batzen!“ Die kalte Stimme der Gestalt riss ihn aus seinem Schockzustand. Arno sah auf. Dieses merkwürdige Wesen stieg einfach über seinen toten Freund hinweg und baute sich vor ihm auf. Ein modriger Geruch stieg ihm in die Nase. Arno sah in die blutunterlaufenen Augen, die weißgraue Haut ließ die Augenhöhlen noch tiefer erscheinen. Es brachte eine Kälte mit, die er vorher noch nie gespürt hatte. Es lief ihm eiskalt den Rücken runter.
Er traute sich kaum zu atmen, aber sein ganzer Körper zitterte „Lauf weg!“, schrie es in ihm, doch er konnte nicht. Etwas hielt ihn fest, ließ ihn regelrecht erstarren. Bewegungslos musste Arno mit anschauen, wie der tote Soldat seine Langwaffe aus der Scheide zog und ausholte.
Blitzschnell fuhr die Gestalt mit der Klinge an Arnos Hals entlang. Es war ein feiner Schnitt. Präzise durchtrennte die scharfe Klinge die Halsschlagader und das Knochenmark. Die übrigen Muskeln und Sehnen behielten den Kopf dort, wo er hingehörte. Das dunkelrote Blut lief sanft aus der Schnittwunde. Arno spürte, wie die warme Flüssigkeit am Hals herablief und unter seinem T-Shirt über die Brust floss. Durch den Blutverlust versagten langsam die lebenswichtigen Organe, bis er die Kontrolle über seinen Körper verlor. Langsam steckte das Monster seine Waffe wieder in die Scheide am Gürtel zurück. Es beugte es sich zu Bennos Leichnam herunter und umklammerte mit einer Hand dessen Handgelenk. Mit der anderen Hand ergriff er Arnos Fußknöchel. Tief brannten sich die Finger des toten Soldaten in die Haut der Jungen. Als hätten sie kein Gewicht, zog die Gestalt beide Körper hinter sich her in Richtung Heide. Arno hatte noch gespürt, wie sein Körper im Sand aufschlug, aber es tat ihm nicht weh. Während er von der Gestalt durch den Sand gezogen wurde, ging sein müder Blick Richtung Sternenhimmel. So hatte er sich den Abend nicht vorgestellt. Die Stimme in seinem Kopf schrie nicht mehr. Sie war still. Alles um ihm herum war still. Bis auf das verdammte Rauschen der Autobahn.
 

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