SPÖKENKIEKER
Hannibals Grab

Wie stark ist die Familie?

Im neuen Fall werden die Wolf-Brüder auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Ein Ausflug an einem herrlichen Tag in die Lüneburger Heide. Was kann da schon passieren? Doch ein Tourist kehrt von seiner Wanderung nicht zurück. Deshalb schickt Josef Wolf seinen Bruder  allein zum Hannibals Grab, um dessen Tod zu untersuchen. Allerdings bereut er bald darauf diese Entscheidung. Denn ein Plagegeist bringt nicht nur die Brüder um den Verstand, sondern er will auch ihr Blut.

Die Bücher sind erhältlich bei

Leseprobe aus Kapitel 3

SPÖKENKIEKER

Hannibals Grab

 

Volkwardingen lag ungefähr sieben Kilometer außerhalb von Bispingen. Die Fahrt nutzte Josef, um mit seinem Bruder über ihre Situation zu sprechen. 
„Glaubst du, Elizabeth würde uns wirklich helfen, wenn wir ihr das Bild überlassen?“ 
Irritiert sah Vincent seinen Bruder von der Seite an. 
„Das meinst du nicht ernst. Sie hat Paps auf dem Gewissen und jetzt will sie uns helfen. Nein, das stinkt zum Himmel!“
„Wow, deine Meinung über Elizabeth scheint ja schon in Stein gemeißelt!“, stellte Josef fest. 
„Normalerweise bist du es doch, der immer etwas Gutes im Menschen sieht.“ 
„Joe, woher willst du wissen, dass sie ein Mensch ist. Immerhin wurde sie geboren, als unsere Mutter von der Plage besessen war. Sie hat praktisch das Böse mit der Muttermilch aufgenommen.“ 
Josef verzog das Gesicht.
„Alter! Da magst du recht haben, aber der Vergleich ist ekelig!“
Dabei lenkte Josef den Wagen über die Hofauffahrt. Frau von Ecker wartete bereits auf sie. 
„Oh, das ist dein Fall“, grinste Josef. Die Frau trug einen sehr engen Rollkragenpullover, ihre Haare waren streng zurückgesteckt, dazu trug sie ein Jackett und Jeans mit hochhackigen Schuhen. In einer Hand hielt sie ein Klemmbrett. Eindeutig passte sie eher in ein Bürogebäude als auf einen Bauernhof. 
„Das war ja klar“, stöhnte Vincent. Er hatte sich mittlerweile von seiner Krawatte getrennt, die ersten beiden Hemdenknöpfe geöffnet und die Hemdsärmel aufgekrempelt. Er wollte etwas formloser aussehen, immerhin kamen sie von der hiesigen Gemeinde und nicht von einer Landesbehörde. 
„Warum schickt die Gemeinde das Ordnungsamt?“, polterte Frau von Ecker los, bevor die Brüder überhaupt ausgestiegen waren.
„Frau von Ecker. Das ist Herr Schubert und mein Name ist Wagner. Wir machen uns gerne selbst ein Bild, bevor wir den Kammerjäger rufen“, begann Vincent und reichte ihr die Hand zur Begrüßung. Doch als sie Josef bemerkte, schien sie sämtliches Interesse an Vincent verloren zu haben. Sie ging direkt auf ihn zu und reichte ihm die Hand. 
„Wie war Ihr Name noch mal?“ Dabei musterte sie Josef mit einem Blick, als wolle sie gleich über ihn herfallen. Vincent schmunzelte vor Schadenfreude, denn er bemerkte auch, wie unangenehm es für seinen Bruder war. 
„Schubert, Franz!“, stellte sich Josef vor und sah ihr in die Augen. Was tut man nicht alles, dachte er. 
„Kommen Sie, Herr Schubert. Ich führe Sie in die Scheune. Dort habe ich die Geräusche gehört und können Sie sich vorstellen, trotz der Außentemperatur ist es dort erstaunlich kalt. Aber neben Ihnen wird mir bestimmt warm!“, stellte sie fest. Vincent folgte ihnen in kurzem Abstand und hatte Mühe dabei ernst zu bleiben.
„Wissen Sie Franz, ich wollte nicht aufs Land. Mein Mann hat hinter meinem Rücken dieses Anwesen gekauft. Nun ist er auf Geschäftsreise und ich kann mich mit den Handwerkern und dem Ungeziefer herumschlagen.“
„Das ist ja fürchterlich. Wann haben Sie die Geräusche denn zum ersten Mal bemerkt, Frau von Ecker?“, fragte Josef. Sie sollte den Eindruck haben, dass er sich wirklich für ihre Probleme interessierte. In gewisser Weise stimmte es auch.
„Oh bitte, Sie können gerne Katharina zu mir sagen! Heute Nacht dachte ich, es wären nur Mäuse auf dem Dachboden, aber heute Morgen war es besonders laut und kalt.“
Durch die Diele des Wohnhauses betraten sie den Stalltrakt. Schwere Eichenbalken bildeten den rechteckigen Grundriss. Sie reichten bis in den Dachstuhl und wurden wiederum von Querbalken gehalten. An den Stellen, an denen die Pfannen nicht mehr übereinander lagen, schien die Sonne hindurch. Zwischen den Boxen gab es einen Gang, der in einer Werkstatt endete. Von dort gelangte man durch ein Schiebetor wieder nach draußen, welches jetzt verschlossen war. Sofort fiel Josef der alte Traktor auf, der in der Mitte der Scheune parkte. „Wow, ein Deutz D30!“, schwärmte er und lief direkt auf ihn zu. 
„Sie interessieren sich für Traktoren, Franz?“, fragte Katharina.
Wie ein kleiner Junge im Süßigkeitenladen schlich Josef um den Deutz, wobei er sanft über die Motorhaube strich. Der Traktor hatte den typischen grünen Lack, die Fahrerkabine war mit einem Stoffdach bezogen und am Frontlader war eine Heugabel montiert. 
„Ja Franz, seit wann interessierst du dich für Landmaschinen?“, hakte Vincent nach.
Diese Reaktion hatte er von seinem Bruder nicht erwartet.
„Auf so einem Traktor habe ich fahren gelernt!“ Dabei musste Josef lächeln, als er daran zurückdachte.
„Leider hat mein Mann vor seiner Reise die Batterie und Zündkerzen ausgebaut. Jetzt steht das Ding hier mitten im Weg“, ärgerte sich Katharina.
Plötzlich sah sie auf ihre Uhr. Es war eine dieser modernen Armbanduhren, die mit dem Handy gekoppelt waren.
„Oh, das ist der Fliesenleger. Mein Handy liegt im Haus und da muss ich rangehen. Bitte sehen Sie sich in Ruhe um.“ Natürlich verließ sie die Brüder nicht ohne Josef noch einmal über den Arm zu streichen. Als sie im Haus verschwunden war, schüttelte sich Josef.
„Stell dich nicht so an, Franz“, witzelte Vincent. 
„Ist es hier wirklich sehr kalt oder täuscht es?“, wechselte Josef schnell das Thema. 
„Nein, der Temperaturunterschied dürfte nicht so groß sein zu draußen“, erklärte Vincent. „Was hat Leo eigentlich damit gemeint, dass ihr nur einen Monat unterwegs wart?“, fragte er und sah über den Traktor zu seinem Bruder hinüber. Josef musste schlucken. Er hatte darauf spekuliert, dass Vincent es vorhin im Büro überhört hatte. Er hatte gehofft, dass er dieses Gespräch nie mit seinem Bruder führen müsste. Aber er wusste auch, dass Vincent nicht aufhören würde, ihn danach zu fragen. Eigentlich war es nicht der richtige Zeitpunkt dafür, aber für so ein Gespräch gab es weder den richtigen Ort noch die richtige Zeit.
„Weißt du noch, wie wütend Papa war, als ich verschwunden war?“ 
Vincent merkte, wie Josef dieses Gespräch schwerfiel. 
„Oh, ja. Als du nach vier Wochen nicht aufgetaucht warst, hat er dich sogar gesucht!“
„Ich weiß nicht, ob Papa etwas damit zu tun hatte. Auf jeden Fall hat man mich gefunden. Doch statt mich nach Hause zu bringen, steckte man mich in eine Höhle. Tage lang habe ich niemanden zu Gesicht bekommen. Ich wusste weder, ob es Tag war oder Nacht.“ Josef musste sich auf den Kotflügel des Traktors stützen, als die Erinnerungen zurückkamen. Diese Typen gaben mir Wasser, ein Klappmesser und Holz zum Feuer machen. Aber kein Essen. Sie ließen mich fast verhungern, Vincent! Dann warfen sie mir einen Käfig mit einem lebendigen Hasen vor die Füße, den ich töten musste, wenn ich leben wollte. Danach war es eine Ziege, danach war es eine Kuh. Ich tötete sie alle! Danach sagten sie, wenn ich den nächsten Test bestehe, dann würden sie mich nach Hause lassen.“ Josefs Augen füllten sich mit Tränen. 
„Da ging es nicht mehr darum, ob ich etwas zu essen hatte. Sie wollten mich testen, wie weit ich gehen würde.“ Mit starrem Blick sah er Vincent an. Dieser wagte nicht zu sprechen.
„Dann brachten sie mir diese Kreatur. Jetzt weiß ich, dass es eine Plage war. Aber damals dachte ich, dass ich einen Menschen getötet habe!“ 
„Warum hast du mir das nie erzählt?“, fragte Vincent fast vorwurfsvoll. Er war doch sein Bruder und all die Jahre hatte er gedacht, dass sie keine Geheimnisse voreinander hatten.
„Vince, ich habe einem Menschen die Kehle mit einem Klappmesser aufgeschlitzt, um wieder frei zu sein. Wie hätte ich dir das erklären sollen?“ Bevor Vincent antworten konnte, wandte sich sein Bruder ab. Eigentlich hatte er mit diesem Abschnitt seines Lebens abgeschlossen. Er hatte sich geschworen, es für immer zu vergessen. Aber seit er auf die erste Plage gestoßen war, kam alles wieder hoch. Anderseits war er froh. Jetzt war es raus. Vincent schwieg lieber, obwohl er so viele Fragen hatte.

Josef ging zu einem Werkstatttisch, auf dem ein CD-Player stand, daneben lag eine CD-Hülle von ACDC. Dann ging er weiter, um vor einem Regal stehen zu bleiben. Zwischen Schraubenzieher und Hammer lag eine Sichel, an dessen Klinge ein wenig Blut klebte. Für einen Moment umklammerte er den Griff, um sie sich näher anzusehen. Das Blut war noch nicht getrocknet.
Vincent ging um den Traktor herum. Vor der Heugabel fiel ihm eine umgedrehte Obstkiste aus Holz auf. Eine rote Flüssigkeit quoll darunter hervor. 
„Joe, hier drüben!“ Sofort legte Josef das Werkzeug zurück ins Regal und trat zu seinem Bruder zwischen Traktor und der Kiste. Beide sahen darauf herunter. 
„Worauf wartest du? Heb sie hoch!“, befahl Josef. Vincent sah ihn entsetzt an. 
„Wieso ich? Du bist älter!“ 
„Okay, okay!“ Da fiel Josef ein, dass er noch Geld vom Bäcker in der Tasche hatte. Er holte einen Euro hervor. „Bei Kopf hebst du die Kiste an!“
Bevor Vincent widersprechen konnte, warf er die Münze in die Luft und ließ sie auf den Boden fallen. 
„Oh, verflucht!“, fauchte er. Denn die Münze zeigte Zahl. Gleichzeitig ging Vincent vorsichtshalber zwei Schritte zurück.
„Danke, dass du mir so beistehst, Bruderherz!“
„He, einer muss doch Hilfe holen“, witzelte er. 
„Gut, auf Drei.“ Josef atmete tief durch. 
„Eins!“ In dem Moment trat Vincent vor und griff nach der Kiste. Sie hatte kaum Gewicht und Vincent warf sie hinter sich. 
Beide starrten auf den Fußboden. Josef verzog das Gesicht. Lediglich an der Größe und der Fellfarbe ließ sich erkennen, was für ein Tier hier sein Leben lassen musste. In einer Blutlache lag ein ausgeweideter Waschbär. Mit dem Blut war ein Kreis gezeichnet worden. In der Mitte stand eine dicke schwarze Kerze, dessen Flamme wild knisterte, als sie mehr Sauerstoff bekam.
„Was geht denn hier ab?“, fragte Josef. 
„Das sieht aus, als hätte jemand ein Ritual durchgeführt!“, stellte Vincent fest. 
„Bist du jetzt unter die Teufelsanbeter gegangen?“ spottete Josef. 
„Oh, ich vergaß. Du hast ja studiert!“ Mit einem verachtenden Blick starrte Vincent ihn an. 
„Während du mit Minna alte Geschichten ausgetauscht hast, habe ich recherchiert.”
Bevor sie die Diskussion weiterführen konnten, hallte „Highway to Hell“ von ACDC lautstark durch die Scheune. Vincent zuckte für eine Sekunde zusammen. 
„Du hast gezuckt!“, lachte Josef auf. 
„Ha, ha. Sehr witzig!“ Plötzlich wurden sie ernst. Der CD-Player hatte sich selbstständig angestellt. Was ging hier vor? Außer ihnen war niemand hier.
Ganz langsam begann sich der Deutz in Gang zu setzen. Die Lautstärke war so laut, dass Vincent erst im letzten Moment bemerkte, wie sich die Zinken der Heugabel Josef von hinten näherten. Er schaffte es gerade noch seinen Bruder am Arm zu packen und ihn zu sich zu ziehen. 
In der Fahrerkabine saß ein Mann. Er trug einen Bart, eine zerschlissene Latzhose und eine Kappe mit der Aufschrift: Mehr Geld für Milch und Gummistiefel. Aus der blassen Gesichtsfarbe und den blutroten Augen schlossen die Brüder, dass er schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilte, dazu kamen die Würgemale an seinem Hals, die der Strick hinterlassen hatte. Es musste sich um den letzten Besitzer des Hofes handeln.
Der tote Mann in seinem Traktor trieb die Brüder langsam vor sich her. Immer weiter gingen sie nebeneinander rückwärts, dabei ließen sie den Plagegeist nicht aus den Augen. 
„Hast du eine Idee? Der alte Mann und sein Traktor sehen nicht so aus, als würden sie uns gehen lassen!“, stellte Josef fest. Er wusste genau, wie tief sie in der Klemme saßen. Durch die Sonnenstrahlen, die durch die kaputten Dachpfannen brachen, leuchteten die Zinken wie eine frisch geschliffene Waffe. Sie wollten keine ruckartigen Bewegungen machen, da sie nicht wussten, wie der Plagegeist reagieren würde. Immerhin brauchte er nur auf das Gaspedal zu treten und sie würden von den Zinken aufgespießt oder vom Trecker überrollt. Beide Möglichkeiten wollten sie sich möglichst ersparen. 
„Elizabeth!“, rief Vincent plötzlich aus und zeigte in eine Ecke hinter dem Traktor. Schlagartig wurde ihnen bewusst, dass sie hinter der Auferstehung der Plage steckte. Das war ihre Art zu zeigen, dass sie bekam, was sie wollte. Das Bild! Notfalls auch über ihre Leichen. Als der Traktor den toten Waschbär überfuhr und das letzte Blut herausquetschte, war es wie eine Mahnung an die Brüder. Aber weder Vincent noch Josef dachten daran, nachzugeben. 
Auf der Suche nach einem Fluchtweg sah Vincent über seine Schulter. Es waren nur noch fünf Meter bis zum Ende der Scheune. Das große Schiebetor versperrte den Weg nach draußen und damit ins Freie. 
Josef wich ebenfalls weiter zurück, dabei übersah er die Holzkiste. Er geriet ins Straucheln, konnte sich gerade noch so abfangen, aber knickte dabei mit dem Knöchel um und landete auf dem Hintern. Schnell versuchte er sich wieder aufzurichten.
Doch ein stechender Schmerz durchzog seinen Fuß. 
„Oh, verflucht!“ Er merkte förmlich, wie sein Knöchel im Schuh anschwoll. Der Schmerz verhinderte jeden Versuch schnell aufzustehen. Stattdessen versuchte Josef auf allen Vieren weiter zurückzuweichen. Dem Plagegeist auf seinem Traktor blieb das nicht verborgen, sofort senkte er die Heugabel und lachte dabei über sein kaltes Gesicht. 
„Joe!“, schrie Vincent und sprang seinem Bruder zur Seite. Der Traktor kam immer näher. Von hinten nahm Vincent Josefs Arme und zog ihn weiter zurück.
Natürlich kostete diese Aktion Zeit. Josef hatte direkt die Zinken vor Augen. Mit dem Rücken stieß Vincent an das Tor. Vielleicht hätte er das Tor öffnen können, dafür hätte er allerdings seinen Bruder sitzen lassen müssen. Josef schien den gleichen Gedanken zu haben. 
„Nun mach schon Vince. Sonst hat er uns beide gleich!“, schrie er. 
„Vielleicht reicht es dem Ding, wenn es nur einen von uns tötet!“
Doch diesen Befehl missachtete Vincent schlichtweg. Lieber starb er mit Josef, als sich sein Leben lang Vorwürfe zu machen. 
Mit dem Rücken am Tor saßen die Brüder nebeneinander auf dem Betonboden und konnten nur zusehen, wie der Traktor sich vorwärts schob. Die Heugabel näherte sich immer mehr. Sie würden sterben. In einem alten Kuhstall, mit ACDC im Ohr und einem lachenden Plagegeist vor Augen, den ihre Schwester nur für diesen Zweck losgelassen hatte. ..

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